März 31, 2010


Kategorienstürmer –

Amélie Grötzinger bei Wendt + Friedmann

Erst Neugierde: Das dunkle, aus der Wand herauswuchernde Papiergewühl, mit dem zur Vernissage geladen wurde hatte was, irgendwie. In der Galerie Enttäuschung: Das Wandgewucher wiederholt sich und bleibt unbestimmt, ist manchmal größer, mal kleiner, von anderer Farbigkeit – aber es springt nichts rüber… Der pinke, mit Epoxidharz überzogene Gipsklumpen ist eben pink, mehr nicht. Im Nebenraum ein in Gips gegossener Ast, zig-mal reproduziert, manchmal zartrosa eingefärbt und überall durch Kabel und Magnetband brutal aneinander gekettet wie ein Floß, oder ein Wasserfall, der auf dem Boden sich schlängelt. Hm. Von Bewegung und Dynamik ließe sich sprechen, muss aber nicht. Der für die Skulptur verwendete Apfelbaumast stammt aus dem väterlichen Garten, verrät der ausliegende Ausstellungstext. Nach der Galerie Wut: Was soll das!, was wollte man hier sagen?, wurde überhaupt etwas gesagt?, war nicht alles nur glattgeschmirgelt?, freundlich?, ein paar Tupfen rosa. Das die junge Berliner Kunstszene? Kann doch nicht sein! Am nächsten Morgen erzählte ich einer Freundin… und rief in besagter Galerie an – dann Verabredung, Ateliersbesuch bei der „aufstrebenden Berliner Bildhauerin Amélie Grötzinger (1982*)“, so der Ausstellungstext. Und er hat dabei nicht unrecht.

Schnell wird klar: alles gar nicht so süß, so freundlich und blankpoliert, zartrosa. Der pinke Gipsklumpen ist nämlich ein ziemlicher Affront, er ist geradezu unerhört. Nicht weil pink und glänzend. Unmöglich ist nicht die Farbe, unmöglich ist die Form. Eine Unform. Unförmig, nutzlos, überflüssig, bedeutungslos, nirgends einzuordnen, auf nichts zurückzuführen – darin liegt seine Kraft. Der pinke Gipsklumpen weigert sich irgendetwas, irgendwie zu sein. Er ist nicht kristallin, kein Hocker, kein Tumor, keine Qualle und trotz Farbe kein Bonbon. Außer pinker Gipsklumpen (überzogen mit Epoxidharz) ist er nichts, nichts. Das macht ihn inkommensurabel für unser Denken: Er lässt sich nicht einordnen, er schneidet jede Assoziationskette kurzerhand durch. Es ist unmöglich ihn zu benennen, ihn sprachlich zu fassen, ohne dabei nicht immer schon an seiner Kern-Idee vorbeizurasseln, d.h. ihn qua Sprache einzusperren in einer bestimmen Kategorie oder Denkschablone. Ihm eine Intention zu unterstellen, im Gipsklumpen dies oder jenes zu sehen ist somit nichts anderes, denn die Beruhigung des eigenen Denkens; verzweifelte Sinnstiftung weil gänzlich Unbestimmtes so schwierig auszuhalten ist. Als sprachlich unfassbares Ding, als nutzloses Objekt, dessen Form weder Geometrie noch schön noch sonst etwas ist, verweist er einzig und allein auf sich selbst, und punkt. Der pinke Gipsklumpen bleibt dem deduktiven, dem klassifizierenden, sich an Assoziationsketten orientierenden Denken ewiger Fremdkörper. Er ist immer irgendwie falsch, so als ob etwas mit ihm nicht stimmt – er muss doch irgendetwas sein?, muss doch irgendetwas darstellen?, nein, ist er nicht und tut er nicht! – Einen solchen Affront gegen seine Gewohnheiten und Strukturiertheit muss Denken erst einmal aushalten. „Manchmal ist immer alles so klar“ sagt Grötzinger und ist dabei irgendwie abgegessen, müde ob all der Rechthaberei.

Der Apfelbaumast aus dem väterlichen Garten läuft – multipliziert mit sich selbst, in Gips gegossen und zusammengeknotet zur Installation – Sturm gegen seine ureigene Kategorie: >Apfelbaumast<. Und macht sich stattdessen zum verwechseln ähnlich mit einem Knochen, macht nach ohne zu sein. Er sprengt seinen Begriff, er wächst über seine Kategorie hinaus und zeigt, dass so klar alles nicht ist – Apfelbaumäste können auch anders: Die Dinge gehen nicht in ihrer Rolle, nicht in ihrem Begriff auf. Ihre wechselseitige Beziehung ist provisorisch, zufällig und fließend, wenn man mutig ist. Das brutale, nonchalante Kabelgewickel, mit dem die Äste oder sind es Knochen? zusammengehalten werden, zeugt von jener Bewegung, die Zeichen und Bezeichnetes durchlaufen können: so wirklich will das alles nicht passen; widerstrebend nur werden die Astpartien beieinander gehalten; das Konstrukt so durchlässig, als fiele es gleich auseinander und mit ihm sein Name, Ast/Knochen/Wasserfall…-Installation. Das Papier ihrer Origami-Arbeiten (das eingangs erwähnte Wandgewucher) will Götzinger demnächst „mit irgendwas überziehen, so dass es dann aussieht wie Glas“. Papier, das aussieht wie Glas!

Frage: Wenn in Gipsklumpen, Origami und Apfelbaumast gedanklich so viel steckt, warum dann die Empörung nach dem Vernissagebesuch? Woher kommt der anfängliche Eindruck von Beliebigkeit? Mögliche Antwort a) Ich hab’s einfach nicht gleich gerafft; war voreilig und unsensibel. Mögliche Antwort b) Grötzingers Arbeiten hinken in der Umsetzung noch ihrem Gedanken hinterher; transportieren die Radikalität des Gedankens nicht explizit.

Und die Antwort bleibt offen.

© Konstanze Seifert.


Amélie Grötzinger – DEFAULT VALUES – 13. 03 bis 24. 04. 2010

Wendt + Friedmann Galerie – Heidestraße 54 – 10557 Berlin

www.wendt.friedmanngalerie.com

März 23, 2010


Messlatte.

Sie kann groß sein und umfassend und hört sich dann so an: Wie ist das Leben so leer und bedeutungslos! – Man begräbt einen Menschen; gibt ihm das Geleit, man wirft drei Spaten Erde auf ihn; man fährt hinaus in der Kutsche, man fährt heim in der Kutsche; man tröstet sich damit, dass noch ein langes Leben vor einem liege (…). Das belastende unendlich belastende, stockende, erstickende, das beklemmende Gefühl der Langeweile und des Überdrusses, Sattsein, des nicht Wissens wo nur hin mit sich, des trägen von Hier nach Da, eben das Inhaltslose der Langeweile beschreibt Kierkegaard so. Antonioni spricht auch von ihr und wie er von ihr spricht! Bei ihm nistet sie sich ein in einem Blick ; oder im langsamen Streifen, fast schon Streicheln, einer Hand über die Tischplatte, blankgeputzt ; oder wenn man sich im Spiegel die Augenbrauen glättet, nutzlos, weil der der‘s sehen soll ja doch nicht kommt und man es aber trotzdem tut – um die Zeit zu füllen ; oder im Getriebenen, Rastlosen, sich à tout prix an eine Sache Klammernden der Menschen, die vor seiner Kamera auf- und abgehen, die angegangen sind, bedroht von der Leere um sie… um uns herum. —

Diese Langeweile ist groß weil grundsätzlich, Statement, weil These. Sie blockiert, sie lähmt, zerfasert alles, weiß im Vorhinein um die Sinnlosigkeit – et alors elle abandonne, lässt es sein, schlaff zieht sich die Hand in den Schoß zurück weil sie hat es sich anders überlegt, lieber doch nicht. Solche Langeweile erzählt, sie spricht von etwas, deswegen ist sie spanend.

Daneben gibt es die kleine Langeweile. Langeweile, nicht Kurzweil. Die kleine Langeweile schleicht sich ein einfach so, ist undercover. Dass sie da ist, merkt man nicht zwingend, so geschickt wickelt sie sich in die Dinge, mit einer so dünnen Haut überzieht sie den Raum, in dem sie herrscht und spinnt ihn ein wie eine Spinne. Die kleine Langeweile hält sich versteckt. Sie stellt sich nicht zur Schau wie ihre große Schwester. Sie ist nicht Thema und damit sich selbst genug, nein, sondern ist immer nur dort, wo das Thema fehlt. Wo die Frage fehlt. Wo Dringlichkeit abgeschaffen. Wo die Suche eingestellt. Oder nie begonnen hat? Die kleine Langeweile zieht sich zähflüssig dahin. Und ist dennoch produktiv, ist umtriebig dabei. Sie macht.

Hier eine Zeichnung, dort Skulptur oder ein Gedicht, Installation, Collage. Performance. Die kleine Langeweile speit sich aus, spuckt sich aus, zappelt, lärmt und blinkt und hinterlässt ihre Spuren in den allermöglichsten Formen – sie ist beliebig. Oftmals nennt man das Kunst.

Weil die kleine Langeweile Abwesenheit von Problem und Reibung ist, erfindet ihr die Kunstkritik kurzerhand beides, dichtet ihr Spannungsfelder an, die sie nicht hat, denn keine Grenzen sind der Interpretation gesetzt: Die Kritik sieht Transformation wo nur Materialspielerei ist ; verwechselt ausversehen Gebastel mit Grenztestung, mit dem Ausreizen von Material und Gedanken ; nimmt Rekurs auf das Metaphysische und blickt dabei galant über schluderiges Handwerk hinweg. Warum? Weil die Kritik sich von der kleinen Langeweile hat infizieren lassen. Etikettenschwindel. Einmal angesteckt, vollführt sie dieselbe Bewegung: sie treibt, sie sprießt, ist produktiv und blumig. Sie tönt und übertönt die Stille im Reich der kleinen Langeweile. Verdeckt dort die Leere, so dass man nicht hineinfällt, HUCH! Vernissagen sind immer so ausgelassen. Stöckelschuhe und Proseccogläser staksen über das Nichts, über die Stille, die Langeweile hinweg. Kunstkritik dekoriert am liebsten mit Fremdwörtern = Camouflage. Kurz: Entertainment! Und die kleine Langeweile wütet, hat ausgelassen ihren Spaß.

Und mir ist langweilig.

© Konstanze Seifert.