Mai 04, 2010







so galleryweekendly.

Das Fazit gleich vorweg, dann ist es erledigt. Fazit: Die Kunst war gut! Ja, die Kunst war wirklich gut. Ernsthafte Positionen; kaum solche, die autistisch um sich selbst nur kreisen und das leidende Künstlersubjekt zum Hauptthema machen; Sex und dark war auch nicht nötig; stattdessen Angebote, Gedanken, echte Positionen. In klarer Sprache, ästhetisch, oftmals witzig, manchmal ironisch, nicht verkopft, lastig und schwer. Dafür konzentriert aufs Wesentliche, selbstbewusst und provokant. Ohne Drama, ohne Show, kaum ein Zuviel an erzählerischem Gedöns. Die Galerien haben sich angestrengt, schluderten ihre Künstler nicht lässig desinteressiert hin wie noch im letzten Herbst beim Kunstsalon, wo man sich durchweg fragen musste: ist Kunst denn nur cool, wenn sie schlampig ist? All dies mit dem Gallery-Maiwochenende nicht zu vergleichen, die Kunst ist stärker geworden, der Ton ein anderer als noch im Herbst. Das merkte man schon an den schwarzen Limousinen, die auf leisen Rädern durch die Straßen glitten und vor den Galerien sich posierten – in Berlin sieht man sowas selten. Erst recht in der Gegend rund um die Potsdamer Straße, wo man unterm LSD-Sexshop bei Curry 124 neben fast schon nicht mehr bekleideten Damen Pommes (keine guten Pommes) isst. Doch an diesem Wochenende waren auch hier die schweren Mercedes – und zwar nicht da wegen der Damen, sondern für die Kunst.



Kunst in der Kurfürstenstraße bei Sommer und Kohl: RICCARDO PREVEDI. Klingeln muss man, um in die Galerieräume zu gelangen. Drinnen antwortet ein italienischer Herr mit tiefer runder Stimme – pronto! – seinem Telefon. Italienische Damen beschäftigen sich aufgeregt mit einer Preisliste, die Galeristin sagt: ja ja schauen Sie, nehmen Sie sich ruhig die Zeit – und das war auch schon das Spannendste, was es bei Sommer und Kohl zu sehen gab. Denn Prevedis Arbeiten ein bisschen zu vorhersehbar: buntes, riesig vergrößert und zerknülltes Papier, als Siebdruck auf die Leinwand gedruckt. Einmal gelb, einmal grün, einmal orange, blau war auch dabei, Highlight war die Version „durchsichtig kariert“ – macht sich bestimmt gut im Büro.




Über den Hinterhof, auf dem ein alter Jauchewagen steht (sehr schönes Objekt, ob der freundlichen Kunst in der Galerie) weiter nach nebenan zum Norweger, Künstler und Schriftsteller MATIAS FALDBAKKEN bei Giti Nourbakhsch, „An Alpha disguised as a Beta“ – Danke! Zeitungsständer hat Faldbakken brutal zusammengepfercht und mit einem langen Gurt verschnürt, bis sie sich endgültig nicht mehr wehren können. Man sieht den Objekten förmlich an, wie ihnen ihre Behandlung wiederstrebt; in ihnen brodelt es. Sehen aus, als wollten sie sich gegen den Gürtel wehren, ihm die Gewalt zufügen, die ihnen selbst wiederfährt. Die Zeitungsständer sind wütend. Ihre Aggression nimmt Faldbakken auf und kanalisiert sie im Grotesken, entwaffnet durch Humor: Der lange, kunstvoll drapierte, auf dem Boden sich schlängelnde Gürtel wirkt nicht wie Folterinstrument, sondern wie Schmuck, ist gleichzeitig Zierde. In der Nachbarinstallation sind die geschundenen Ständer zum Schmetterling verschnürt. Faldbakken lässt Vandalismus und Witz, Gewalt und Fragilität kollabieren. Frech verwischen seine Installationen die jeweiligen Grenzen. Im oberen Stockwerk Tüten. Weiße Plastiktüten (60 Cent das Stück verrät ein kleiner handgeschriebener Zettel) mit braunem Klebeband (das einem sonst nur beim Umzugskistenpacken unter die Finger kommt, weil es für andere Zwecke einfach zu hässlich ist) an die Wand geklebt. Auf den Tüten die Aufschrift THE ZZZZZ. Mehr nicht. Manche der Tüten hat Faldbakken in Bilderrahmen verfrachtet, mit Edding die Glasscheibe beschmiert. Auch hier Gewalt, Schändung, Beschädigung. Und Ironie: Als Kunst wird die Plastiktüte zum Sinnbild für Konsum und Sinnlosigkeit (The ZZZZZ?). Und doch: durch die Edding-Tags und das simpel braune Klebeband bleiben die Tüten unbedingt auch was sie sind, nämlich Plastiktüten. Faldbakkens Readymades ziehen dem Aufgeblähten des Kunstmarkts eine lange Nase. Mit allereinfachsten Mitteln verweigern sie sich dem Maßlosen – und sind Pointe zu Damien Hirst, der fürs Wochenende diesmal nicht Formaldehyd mit Kalb, Kuh oder Hai im Gepäck hatte, sondern Formaldehyd mit Zebra.



Malerei von CECILY BROWN ist wie ein Stoppschild. Cecily Brown, Contemporary Fine Arts, zunächst Kleckse, riesige Formationen von Farbstreifen und Klecksen. Orange, Apricot, Zartrosa, Hellbraun die vorherrschenden Töne, manchmal Türkis. Beim zweiten Blick erkennt man die Frau auf dem Rücken liegen, die Augen aufgerissenen, verzerrter Mund, sie schleicht sich ein in fast jedes Bild, immer bleibt sie geheimnisvoll. Denn Browns Arbeiten verschließen sich. Sind Absage an die Konsumation durch den Blick. Weisen jedes Fragen, jedes Verstehenwollen von sich und zwar rigoros. Wie engmaschige Gitterzäune tun sie sich vor dem Betrachter auf. Als gälte es etwas zu bewahren, als ginge es darum, ein Innerstes zu verstecken. Access denied. — Das macht natürlich neugierig, das reizt natürlich, das Sperrige, denn man will ja wissen. CFA ist auch sperrig. Ins Obergeschoss darf man seine Tasche nicht mitnehmen, Toilette verboten, Anselm Reyles Neonröhren schauen, verfrachtet in den dritten Stock, kostet drei Euro, Spende. Geheimnistuerei. Vor der Galerie warten die schweren Limousinen. Mit verdunkelten Scheiben.

NEUGERRIEMSCHNEIDER. Neugerriemschneider. Weil, da muss man ja hin, ist ja eine der Galerien. Aber wie ÄRGERLICH! Ein durcheinanadergewürfeltes Sammelsurium aus lauter klein und klein. Wirkte wie Ausverkauf. Vollgestopft und zum Kunstkucken war auch gar keine Gelegenheit, so überfüllt die dunklen Räume, so eng die Mini-Objekte gestellt wahllos nebeneinander gereiht. Mehr muss auch nicht gesagt werden. Hauptsache man war da, war dabei bei Neugerriemschneider und „Ugly“ nennt MARTIN EDER seine Porträtserie (Eigen + Art). Aber hässlich sind die Damen nicht, sie wirken nur ein bisschen verstört. Trotzdem kann man sie gern haben, denn die Porträts von Ziege und Mops, mit denen Eder die halbnackte Damenriege auflockert, nehmen ihrem vermeintlich Hässlichen seine Tragik, rücken die mit den viel zu langen, rot angelaufenen Fingern in ein weniger existenzielles, suizidgefährdetes Licht, befreien sie von ihrer Schwere und all der düsteren Stimmung, so dass die Ladies am Ende gar nicht so vergewaltigt, gequält und geschunden sind, wie einem der Titel der Ausstellung nahelegen will, sondern eher verträumt, keck, ja übermütig dreinblicken. Zu Martin Eder: Ugly gets funny durch Ziege und Mops.





MARK WALLINGER ist bei Carlier und Gebauer und es liegen Steine auf dem Boden, 1000 an der Zahl, sie sind nummeriert. An der Wand hängen aus dem Internet zusammengeklaubte, pixelig vergrößerte Schnappschüsse von schlafenden Menschen, eingenickt im Zug oder U-Bahnwagon, die Gesichtszüge entglitten, der Mund offen sind sie bar der Kontrolle über Mimik und Außenwirkung. „Word“: zusammengefügt zu einem einzigen Wort, einer endlos langen Klage ist hier von Wallinger das gesamte „Oxford Book of Englisch Verse 1250-1918“. Die Sinnebenen wahllos aneinander gereiht, ohne Interpunktion, Wort- und Silbentrennung. 700 Jahre englische Poesie, zusammengequirlt zum Buchstabenbrei. Dahinter Stühle, 100 Stück, jeder ein Einzelstück, aufgereiht, hintereinandergestellt à 10 x 10, miteinander verbunden durch weiße Fäden, die sich sammeln, zulaufen auf einen Fluchtpunkt, jede Rückenlehne trägt die Aufschrift „MARK“. — Wirklich witzige Arbeiten, doch keiner der Galeriegänger will Freude zeigen, stattdessen ernsthafte Geschäftigkeit. Liegt vielleicht daran, dass Wallingers Arbeiten den Betrachter auf so direkte Art ansprechen, ihn, ob er will oder nicht, immer schon mit einbeziehen. Der Galeriebesucher muss sich eingestehen auch bei mir läuft der Sabber im Schlaf – irgendwie peinlich. Wallingers Arbeiten zielen aufs Universelle, „Menschliches“ geht von ihnen aus. Das mag tröstlich sein. Solch kollektivierte Individualität kann aber auch bedrohen. Etwa dort, wo sie überbordet und Unterschiede nur plattwalzt. „Word“ verdeutlicht das brutal: Wallinger nimmt den Gedichten ihre Form und damit ihren Individuationsrahmen. Schaltet alles gleich und macht so die Poesie für den Betrachter inkommensurabel, die Arbeit ist schlicht nicht konsumierbar, vollkommen entzieht sie sich. Und die Buchstaben erschlagen. Wo Individualität geraubt, schlägt die Masse zu — gut, dass die Menschen auf den Fotos schlafen.


KONSTANZE SEIFERT.