À FLEUR DE PEAU
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Textfragmente zur Porträtserie «Rules of Engagement»
Von Joerg Reichard, Fotograf.
TEIL 4
Endlich Wochenende.
Die rechte Hand umgreift das Messer, es ist silbern. Sie könnte mit dem Messer auch einfach eine feine Scheibe abschneiden. Stattdessen stochert die rechte Hand mit dem Messer in der Butter rum. Regelrechte Krater furcht die rechte Hand mit ihrem Messer in die Butter rein. Setzt mit dem Messer von Neuem an und immer wieder von Neuem, weil das Butterstück, das es jetzt endlich abgetrennt, aufgespießt hat, fällt vom Messer ab, immer wieder, fällt in seinen Schoß zurück, klatscht also auf das große Butterstück rauf, in dem seit seinem Fehlen ein Krater klafft. Die linke Hand hält kein Messer. Sie greift das auf die zerkraterte Butter gefallene Butterstück mit Zeigefinger und Daumen und hält das Butterstück, das schon dreimal vom Messer in der rechten Hand Gefallene, mit Zeigefinger und Daumen umgriffen. Es fühlt sich kalt an. Es beginnt zu schmelzen. Es hinterlässt zwischen den Fingern seine schlierige Spur. Den Fingern wird das Feuchtkalte zwischen sich unangenehm, zur Zumutung fast. Sie schütteln es von sich, angewidert von dem Gefühl, das es ihnen gibt, und drücken es in den weichen Brötchenteig rein. Der Teig ist weiß. Er sieht trocken aus, als müsste man viel trinken, um ihn runter zu bekommen. Oder als bräuchte er viel von der Butter auf sich, um im Mund erträglich zu sein, machbar. Das Brötchen ist aufgeschnitten, halbiert in zwei Hälften, es liegt nur eine Hälfte auf dem Teller. Der Teller ist auch weiß. Die Brötchenhälfte liegt dem weißen Teller auf, auf dem auch Krümel liegen. Kleine, gelbbraune Krustensplitter liegen, die vom Brötchen, als es festgehalten von der linken und zerteilt von der rechten Hand mit dem silbernen Messer in ihr, abgesprungen sind. Als die andere Brötchenhälfte, jetzt nicht mehr zu sehen, in den Mund gegangen und von Zähnen durchteilt, sind auch seine Krümel, das heißt gelbbraune Krustensplitter von ihm, auf den Teller gefallen. Darum liegt die Brötchenhälfte auf dem weißen Teller inmitten lauter Krümel. Der Zeigefinger drückt das Butterstück, das unter seiner Berührung schmilzt, in den weißen und löchrigen Brötchenteig rein. Es hinterlässt auf seiner Haut eine kalte Spur, oder einen Film. Der Zeigefinger ist jetzt feucht von der kalten Butterstückspur auf ihm. Das Butterstück klebt jetzt auf dem weißen, löchrigen Brötchenteig, sieht wie hingekliert aus, da fährt die rechte Hand mit dem Messer in es rein, zerteilt es mit seiner Spitze, der Messerspitze, spreizt es auseinander, macht es breit und flach und das nur, um seine Fläche zu vergrößern. Das Messer bügelt das Butterstück platt, also verteilt es auf dem weichen, löchrigen Brötchenteig. Das Messer drückt das Butterstück in den weichen, löchrigen Brötchenteig und zerfurcht, wie zuvor das große Butterstück, auch diesen. Auf dem Teller hat die Brötchenhälfte jetzt in der Mitte einen Krater, einen Krater wie auch die Butter von der Wucht des Messers einen Krater hatte, der von einer dünnen, ungleichmäßigen Butterschicht bedeckt ist. Kann ich das Salz haben, bitte? Es steht direkt vor dir. Ich habe nicht gesehen, dass das Salz direkt vor mir steht. Die rechte Hand greift nach dem durchsichtigen, kegelförmigen Salzstreuer und zwar mit Schwung. Er ist bis knapp unter die Hälfte mit weißem Zeugs gefüllt, das unter der Bewegung der rechten Hand zur Seite kippt und am Innenrand des duchsichtigen, kegelförmigen Salzstreuers einen aufgeschütteten Haufen bildet. Hier, dein Salz. Danke. Sie beobachtet wie er hastig das Salz auf die Brötchenhälfte unter ihm schüttet. Die Hälfte fällt daneben auf den weißen Teller und mischt sich unter die gelbbraunen Krümel auf ihm. Es fällt auch Salz neben den Teller, auf die weiße Tischdecke. Die hatte sie vorher noch gebügelt. Sie kann diese brüsken Bewegungen von ihm nicht ertragen, fühlt sich von ihnen angegriffen, auch wenn sie ihr nicht gelten. Ihr Körper verkrampft sich, wenn sie seine Hände so beim Zupacken sieht. Findet ihn, wie er vor ihr das Salz auf seine Brötchenhälfte schüttet, grob und unansehnlich. Seine Hände agieren in allem wie ein Schlachter, der die vor ihm aufgereihten Kadaver zerteilt, findet sie und kann sich nicht helfen. Sie findet ihn roh. Ihr vergeht der Appetit. Keine Falten in der Tischdecke, doch man sieht, dass sie schon oft gewaschen wurde, weil sie hat einen Graustich. Jetzt liegen Salzkörner auf der Tischdecke und sie fragt ihn, ob er ihr den Kaffee reichen kann, bitte. Kannst du mir den Kaffee reichen, bitte? Die linke Hand schiebt die Glaskanne, in der der Kaffee und auf deren Boden sich braune Kaffeepampe, in der sich also der Kaffeesatz sammelt, zur Mitte des Tisches hin. Hier. Die linke Hand zieht sich zurück, hebt die Glaskanne, in der der Kaffee, nicht an und schenkt auch keinen in ihre Tasse ein. Kannst du mir einschenken, bitte? Sie will, dass er ihr einschenkt. Sie will, dass er sich die Mühe macht und den Kaffee in ihre Tasse schüttet. Sie besteht darauf, weil sie will, dass er sich bemüht um sie. Die rechte Hand greift also zum Henkel der gläsernen Kaffeekanne, in der sich unten der Kaffeesatz, hebt sie an und neigt sich, den Henkel fest umgriffen, soweit nach vorn über, bis die braune Flüssigkeit aus der Kanne läuft und in ihre Tasse klatscht. Bis der Kaffee in ihre Tasse klatscht. Stellt dann die Kanne zurück auf die weiße Tischdecke, die nicht eine Falte hat, zwischen sie beide. Die gläserne Kaffeekanne, in der sich unten der Kaffeesatz und die einen schwarzen Henkel hat, steht jetzt zwischen ihnen beiden auf dem weißen Tischtuch. Sie soll verdammt solchen Gesten keinen Wert beimessen. Es ist ihm völlig egal, ob er ihr den Kaffe in die Tasse klatschen lässt, oder ob sie das selbst tut. Es kümmert ihn nicht. Es bedeutet ihm nichts. Es ist kein Liebesbeweis, er beweist ihr seine Liebe so nicht, so doch nicht. Sie macht darin Zeichen seiner Anerkennung ihrer aus, seiner Aufmerksamkeit. Sie fühlt sich von ihm umsorgt, wenn er ihr den Kaffee einschenkt, wenigstens wahrgenommen, wenn er solche Dinge für sie tut. Sie verlangt, dass er ihr Aufmerksamkeit schenkt und mit ihr spricht. Sie will sprechen und es ist ihr auch egal worüber, Hauptsache es hört die belastende Stille auf. Hauptsache nicht mehr ihre Wut, wenn sie ihn nicht ertragen und sich nicht beherrschen kann. Wie sie ihn dann hasst. Sie müssen doch irgendetwas teilen. Die rechte Hand greift nach der Brötchenhälfte, die ein Krater ist, in dem eine ungleichmäßige Butterschicht klebt und auch Salz, und führt sie zum Mund, der sich öffnet und Zähne zeigt. Zahnreihen, die sich voneinander trennen und nach der Brötchenhälfte packen, sich auf die Brötchenhälfte stürzen, die ein Krater mit unregelmäßiger Butterschicht und auch Salz ist, erstechen einen Teil der Brötchenhälfte, die Zähne beißen zu, beißen etwas von ihr ab, was dann im Mund verschwindet und hinter den Zähnen ist das Abgebissene jetzt weg. Die rechte Hand legt nach dem Biss die lädierte Brötchenhälfte zurück auf den Teller unter ihr. Sie soll verdammt aufhören in ihn hineinzulesen, was dort nicht ist. Er will nicht sprechen. Er hat nichts zu sagen, ihr hat er nichts zu sagen, schon lange nicht mehr, weil sie ödet ihn an und manchmal schnürt sich ihm alles zu bei ihrem Anblick, das heißt ihrem leidenden, anklagenden Blick auf ihm. Er findet sie schwer und erstickend, sie zu sehen heißt Tonnen auf den Schultern zu haben und ihre Vorwürfe scheppern in seinen Ohren, selbst wenn sie nichts sagt scheppert es. Was machst du heute? Ich weiß es nicht. Gar nichts. Lesen vielleicht. Ich weiß nicht, was ich heute mache. Gar nichts. Mich ausruhen. Die linke Hand greift nach der Tasse, in der ist eine braune Flüssigkeit. Sie hebt die Tasse an den Mund, dessen Lippen sich öffnen und dann die Tasse umschließen. Der Tassenrand ist kalt, er hinterlässt einen Moment kalt auf der Innenseite der Lippen, im Mund. Die Flüssigkeit ist heiß und braun und sie berührt die Zunge, fließt auf ihr lang bis zu ihrem Ende hin und stürzt dann die Kehle hinab. Sie nimmt einen Schluck Kaffee. Was machst du heute? Sie weiß nicht, was sie heute macht. Sie hat keine Pläne. Sie würde etwas mit ihm machen, vielleicht. Müssen sie doch mal wieder Zeit miteinander verbringen, als Paar. Sie weiß nicht, was sie heute tut. Sie weiß nicht, wie sie den Tag heute füllt, hat absolut keine Ahnung und er kommt ihr unendlich lang vor, der Tag macht ihr Angst. Sie weiß nicht, was sie alleine machen soll. Ich habe zu tun, so viele Sachen, um die ich mich kümmern muss. Die Brötchenhälften gegessen, der Kaffee getrunken stehen sie auf und räumen wortlos den Tisch ab. Jeder geht seiner Wege dann, in der gemeinsamen Wohnung. Auf der weißen Tischdecke ohne Falte liegen Brötchenkrümel, auch Salz. Sonst nichts.
KONSTANZE SEIFERT.