Messe, Masse, messen. —
Preview und artforum 2010.
Natürlich, Kunstmessen sind Orte der Kunst, denn nirgends sonst tritt die Kunst in so geballter Ladung auf. Aber auch und vor allem sind Kunstmessen Orte der Wahrheit. Nirgends sonst ist das gegenseitige sich Messen der Positionen untereinander so deutlich, nirgends sonst bricht es mit so einer brutalern Ehrlichkeit und Deutlichkeit durch. So läuft man an manchem Stand einfach vorbei, streift ihn höchstens mit dem Blick, da man weiß, und zwar sofort: eingehende Betrachtung, Zuwendung und Interesse lohnen hier nicht. Obgleich, das Linksliegenlassen der einen und die Begeisterung für die nächste Koje, beides ist nicht geschmacksgebunden, das muss betont werden: Es geht hier nicht um Geschmack. Es geht um die Kunst. Darum, ob sie groß ist und etwas zu sagen hat. Oder klein ist und nur um den eigenen Radius sich dreht. Nochmal, das Urteil hierüber fällen nicht die subjektiven Vorlieben des Betrachters, nein, ihr Urteil fällt die Kunst sich selbst. Sie ist ihre eigene Richterin. Und der aufmerksame Betrachter, er liest in ihrem Urteil nur.
Auf der diesjährigen PREVIEW nun, hat die Kunst sich nicht angestrengt, gar nicht. Kaum waren da echte Positionen zu finden; man sah kaum mehr, als eine lange Aneinanderkettung von vornehmlich sich um das Künstler-Ich drehenden Spielereien. Soviel Selbstbespiegelung, so wenig Denken über das eigene Ich hinaus ( – und überhaupt: wo war der Gedanke?, wo die Auseinandersetzung hin? – ). So wenig Aufbegehren, so wenig Haltung. Nicht einmal Gewalt, Brutalität, Sex, Schocker waren zu finden – obwohl sowas, wo nichts anderes mehr geht, doch immer geht. Stattdessen zeigte sich die Preview artig, präsentierte gepflegte Langeweile, hatte viel Süßes im Angebot.
Unter solchen Kunst-Nettigkeiten kommen die Fotografien des israelischen Fotografen Pini Siluk (vertreten durch die Münchner Galerie mbf-Kunstprojekte) als regelrechte Wachmacher daher. Siluk zeigt Nachtleben in Tel Aviv, zeigt Exzess und vermischt diesen mit politisch Provokantem – mit Stacheldraht vorm vernarbten Jesusgesicht, mit einem sich heißmachenden, verführenden, so sexy Schwulenpaar, mit einer von der Feierei fertigen, im Sessel hängenden Braut. Dahingestellt sei, was von solchen am Kitsch haarscharf vorbei schliddernden Bildern zu halten ist. Zugutekommt ihnen, dass die Fotografien von etwas sprechen, dass sie in einem aufgeheizten Diskursraum Position beziehen, dass sie etwas in die Waagschale werfen, sich exponieren als Angebot. Lust am Anecken, an der Provokation beweist auch die Arbeit von Simone Häckel (vertreten durch Scotty Enterprises, Berlin). Ihre Videoarbeit zeigt das Porträt eines kleinen Mädchens, das, unendlich absorbiert – vermutlich von einem Fernseher, doch wovon genau, das gibt die Arbeit nicht preis – mit den klassisch großen blauen Augen, dem blonden Haar und dem halb offenen Mund, förmlich gefesselt ist und, tief atmend, fasziniert auf einen Punkt nur starrt. Dabei führt sie kleine, minimalsichtbare, regelmäßige Bewegungen aus – wahrscheinlich kratzt sie sich einfach am Knie, drückt ihre Puppe, was auch immer. Und doch: Alle Unschuld, Unvoreingenommenheit, Klarheit, die von diesem Kleinmädchengesicht ausgeht, für den erwachsenen Betrachter hat dieses absolut zurückgenommene Videoporträt unweigerlich einen perversen Touch. Der Erwachsenenblick findet dieses kleine Mädchen einfach pervers, ist in seinem Denken gegen die von ihr ausgehende Erotik schlichtweg machtlos. So. Diese Arbeit sitzt. Und verrät dem Betrachter Sachen von sich, auf die er, wahrscheinlich, lieber verzichtet hätte. Die aus Holz geschnitzten Kinderfiguren des südtiroler Künstlers Gerhard Demetz (vertreten durch Galleria Rubin, Italien) stehen stramm. Die Beine leicht gespreizt, das erhöht die Standfestigkeit, sehen sie aus wie Soldaten, die aufs Gefecht sich einstimmen. Leer geht ihr Blick ins Unbestimmte, in den Händen halten sie Arbeitsgerät, Ölfläschchen, Hammer, Scheren es könnten auch Bomben, Granaten, Maschinengewehre sein. Das passt, denn hinten sind ihre Körper offen, sind hohl. Oder zerfetzt. Trotzdem stehen sie unverwüstbar, wie Maschinen, eben seelenlos und unempfindlich. In ihrer absoluten Nüchternheit sind diese Kinderfiguren erbarmungslos und bewegend. Umso mehr, da von ihnen nichts Belehrendes ausgeht, sie sich nicht in Politik versuchen, souverän auf die große Geste zu verzichten wissen.
Anders das ARTFORUM 2010. Hier wird die große Geste geschwungen, aber hier ist das auch erlaubt, denn hier leitet sie sich nicht aus dem Normativen ab, sondern vom Können. Können überall, Kunst, toll und hohes Niveau! Erst den dritten Stand passiert und schon fängt es an mit Eigen + Art: Außenwand: Tuschezeichnungen von Yehudit Sasportas, die wieder an Zäune, Explosionen und Zerfetztes erinnern, drinnen: Malerei, Neo Rauch, natürlich, auch Tim Eitel, Martin Eder, und bemalt/beschriebene Kartonplatten von Birgitt Brenner. Können also hoch4! Natürlich, war ja auch zu erwarten. Was bleibt da, neben einem aufgeschnappten Dialogfetzen, auch noch groß zu sagen übrig? „Was soll denn der Eitel dort vorne kosten? 140.000 Euro. Aha, ok“, sagt die Besucherin und geht… Hinten dann, am Ende des Gangs und rechter Hand, Arndt. Zeichnungen und Installation von Ralf Ziervogel, der sowieso wieder in aller Munde war, ganz aufgeregt waren sie alle. Das liegt, neben Rummel und Ruhm, auch an den Zeichnungen, deren Akribie und Detailreichtum, deren manischen Gewaltexplosionen, dargestellt in brutal verliebter Perfektion und Vollendung, man sich kaum entziehen kann. Ziervogels Handwerk, sein Humor, die schamlose Übertreibung, Klarheit und Kürze im Gedanken, seine absolut große Geste eben, bestechen. Es lässt sich nicht anders beschreiben, man kann es nicht anders sagen. Groß weiter geht es rechts daneben, Galerie Yvon Lambert zeigt Douglas Gordon und es lässt sich kaum glauben, dass diese unterschiedlichsten Arbeiten ein und demselben Künstlerkopf entstammen, denn so divers sind sie in Sprache, Medium, Ausdrucksform. Verstörend sensibel und einfach nur schön die Videoarbeit Ever, After, All In The Light in der ein weißer Pfau vor beige-braunem Gemäuer alleine seine Bahnen zieht. Der Pfau läuft hin und her, mehr nicht. Ist in dieser Einfachheit Poesie, Melancholie, Langsamkeit. Unheimlicher sind, in der gegenüberliegenden Ecke der Ausstellungskoje platziert, die schwarzen Raben der Videoarbeit Looking Down With His Black, Black Ee. Hier zeigt Gordon nicht mehr und nichts anderes, denn die unruhigen schwarzen Vögel. Mehr braucht es auch nicht, die Vögel erzielen, indem sie unbeobachtet, aggressiv, königlich und stolz ihrem Nachtgeschäft nachgehen, Wirkung genug. Grell, trashig wirken neben diesen leisen Videoarbeiten Gordons Collagen. Sechs Stück an der Zahl, präsentiert jeweils unter Glashaube und auf Apothekerschränkchen. Präsenz und nackte, ungezierte Körperlichkeit ist da. Gordon mischt hier alles: Sex, barbusige und aus Schnitten blutende Frauen; als ethisches Beiwerk daneben immer wieder Bücher mit sprechenden Titeln wie Choosing the best way of life. Eingerahmt sind diese Arbeiten, der Vollständigkeit halber, noch von zwei Textarbeiten: I am the author of my own adiction, heißt es auf der einen Wand, um dem Betrachter auf der gegenüberliegenden Stellwand dann zu versichern: I am the director of my own downfall. Wobei – ganz Vanitas! – die Buchstaben der jeweils letzten Wörter nicht ausgefüllt schwarz sind, sonder einzig mit der Andeutung ihrer sich zufrieden geben – so als wäre eh schon immer klar, dass die lebenspraktische Umsetzung solcher Maximen, nun ja, ein bisschen schwierig ist. Halle 20, Galerie Daniel Templon, Paris mit Oda Jaune und Norbert Bisky. Bisky, das ist der ewig schöne, rosa-orangene Jung-Männeroberkörper, nackt, schön, in sich gekehrt, erhaben gegenüber der Welt, selbst wenn die Welt hinter ihm in der Sintflut zu versinken droht. Biskys Held kommt davon und damit auch sein vor lauter Lebendigem und Jugend und Kraft überbordender Körper – Danke! Neben diesem Sprudelnden ist die von Oda Jaune abgebildete Körperlichkeit mehr Krankheit als anderes. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Ein fahles, verformtes Körperstummelwesen im kühlblauen Licht, aber noch schlimmer ist der Faltenwurf der weißen reinen unbefleckten Bettwäsche: so akkurat, so penibel, so neurotisch, so kalt, so gut – Hilfe! Fredric Snitzer Gallery, Miami zeigt Hernan Bas und diese kleinformatige, zurückgenommene, sensible, intensive Malerei hat in ihrer Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit etwas Heilsames. Ganz unprätentiös steht da ein junger Mann, halb nackt, nur in hochgekrempelter Hose und mit der Zigarette in der Hand vor einer offenen Kiste, aus der lauter Weiß raus quillt. Als stünde er vor den Trümmern seiner Vergangenheit. Als müsste er erst mal eine rauchen, damit das Gefundene sacken kann. Der Betrachter wohnt da einem intimen Moment bei, in der ganzen kleinen Malerei steckt Wahrheit drin. Contemporay Fine Arts, Berlin zeigen Schaukästen, das heißt viel eher zeigen sie Ganze-Welt-Kästen von Max Frisinger. Die monsterschweren Glasvitrinen borden über vor so viel Welt und Ding, Objekthaftigkeit und Sache. Da wird einem ganz schwindelig bei. Auch die schicke Italienerin lässt es einem ganz schwindelig zumute werden: „Was soll ein Kasten kosten? 35.000 Euro. Und wenn ich zwei nehme? Dann auch. Gut. Ich bin gleich wieder da, hohle kurz meinen Mann, ich muss mit ihm den Transport besprechen.“ Zwei ältere, distinguiert aussehende Männer haben diese Szene beobachtet, woraufhin der eine seinem Begleiter gesteht: „Also, ich bin wohl zu blöd für die Kunst.“
KONSTANZE SEIFERT.
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