Juni 13, 2010


„HIER“ —

Jitka Hanzlová und das Sosein der Dinge.

Jitka Hanzlová hat den böhmischen Wald fotografiert – „Forest“, 2004. Sie hat Frauen fotografiert in Brixton, Südafrika, der ganzen Welt – „Female“, 2006. Martin Heidegger ging es ums Sein der Dinge. Sein Denken kämpfte und biss sich bis zur Essenz – er nannte es Wesenheit – der Dinge durch: das Wesen der Sprache, das Wesen des Daseins, des In-der-Welt-seins, der Angst. Die Phänomene in und an ihrer Wurzel zu packen, sie zu benennen, unverstellt und ihrer Wahrheit gemäß war Anspruch seines Philosophierens. In Jitka Hanzlovás Fotografien ruht ein ähnlicher Anspruch. —

Wer Wald in einer derartigen Intensität darzustellen weiß; wem es gelingt, ihn über die Maßen surreal, eigenständig, unantastbar und mächtig zu zeigen, dem ist nicht daran gelegen, nur einen Typ, ein Beispiel von… zu zeigen. Sondern der zielt auf „den Wald an sich“, auf seine Essenz. „Forest“ ist kein Exempel. „Forest“ spricht von Kern/Seele/Sosein des Waldes.

Quasi: Wald = Jitka Hanzlová, „Forest“, 2004.

Bedeutet: Hanzlová haucht ihren Motiven nicht erst eine Seele ein, wie es Ulf Erdmann Ziegler in Monopol 5/2010 vermutet, sondern im Gegenteil: Sie holt sie hervor; bringt zum Vorschein, was als Wesenheit immer schon vorhanden ist.

Nun also „Hier“, das Ruhrgebiet. Erneut so ein programmatischer Titel, demzufolge der Betrachter nicht nur ein Bild des Ruhrgebiets zu erwarten hat, sondern der ihm das Ruhrgebiet schlechthin verspricht – und damit Deutschland. Die thematische Ausweitung vom Ruhrgebiet zur Republik geht mit Hanzlovás Aufnahmen d’accord, umschiffen sie doch selbstbewusst und mit großer Wachsamkeit die gängigen Klischees ergo Begrenzungen der Region: malochen, rußverschmiertes Gesicht, Braunkohlemeiler. Hanzlová aber spart diese Symbolik einfach aus, so als lohnte es nicht mehr, ihre Geschichte zu erzählen, als sei das Thema ausgereizt. Stattdessen bewegt sie sich lieber am Rande und im Vagen, an unbestimmbaren Orten. Fotografiert vom Wind durchfurchte Wiesen, Häuserecken, Wohnsiedlungen, Menschen – und nichts von alldem ist unbedingt und ausschließlich Ruhrgebiet, sondern Gleiches lässt sich auch in Berlin-Tempelhof, auch anderswo im Lande finden: die gleichen Reihenhäuser, Jogginghosen, Gesichter. Hanzlová fotografiert zwar das Ruhrgebiert, spricht aber vom ganzen Land.

Also spricht sie von Heimat? Vielleicht; aber wohl eher nicht. Heimat impliziert ein wie auch immer geartetes Verwachsensein, eine Verwurzelung mit der Umgebung. Heimat steht für Nähe. Den von Hanzlová Porträtierten scheint ihre Umwelt aber ziemlich fremd zu sein. Aus dem Kontext gerissen, in ihre Umgebung verpflanzt, unbeschäftigt wirken sie. Heimat fühlt sich anders an, oder?

Nicht nur das Ruhrgebiet, sondern eigentlich ganz Deutschland, aber nicht Heimat. Was dann? Warum treffen und überzeugen die Fotografien trotz ihres in gewissem Sinne hybriden Charakters den Betrachter unmittelbar? Sie treffen ihn, weil er als engagierter nicht umhin kann, sich die Frage nach der eigenen Identifikation mit den Bildern zu stellen. Hat Hanzlová recht? Ist das Deutschland, welches sie da zeigt, meines? Ja. Kaum zu glauben, ja!

Ganz subtil ziehen die Fotos den Betrachter auf ihre Seite. Denn Materialien, Stoffe, Fabrikate und Stimmungen tauchen in ihnen auf, die jeder, der hier großgeworden ist, bis zum Erbrechen und aufs Intimste kennt: Die Jalousien, man hat sie so oft gesehen, so oft schon selbst bedient, dass man ihr Geräusch beim Auf- und Zumachen förmlich hören kann. Keine Überraschung wie stumpf und trocken sich das zerfressene Hartgummi der Karussell-Sitze anfühlen mag. Wohlbekannt und vertraut auch die grauen Reihenhäuserwände mit ihrem halbspitzen Dach…

Qua der von Hanzlová festgehaltenen und in deutsche Kulturgeschichte eingeschriebenen Seins- und Funktionsweise der Dinge (à Jalousien, Spielplätze, Kühe sehen in Deutschland so aus) sind die Bilder in Bezug auf den Betrachter übergriffig. Sie forcieren Identifikation auf so pointierte, so subtile und trotzallem schonungslose Weise, dass man sich kaum erklären kann, warum und wie man von den Bildern so angegangen, so in ihren Bann gezogen wird. Unheimlich wird hier das Allzuvertraute. — So wie auf Reisen, wo man, ohne ein Wort gewechselt oder auch nur gehört zu haben, treffsicher weiß: Der dort ist ’n Deutscher. Und „der Deutsche“, das ist bei Hanzlová der Jogginghosen-Typ mit Schlappen und Ringelpoloshirt, ist das blonde Mädchen auf dem Feld. Mit gleicher Bedingungslosigkeit ist „der Deutsche“ auch die Schwangere und das schneebedeckte Mädchen mit „Mitgrationshintergrund“. Konsequent und selbstverständlich ergeben sie bei Hanzlová eins. Es braucht dafür keine Diskussion, keine Integrationsmaßnahmen und Sensibilisierungsprogramme mehr. Die Dinge sind einfach so, fertig. Politik und Gesellschaft reiben sich die Finger daran wund, Hanzlová ist schon weiter.

Und dennoch hält die Schwangere ihre Augen verschlossen, sind die Jalousien zu, ist das Haus eingewachsen und verwahrlost. Dennoch stößt der dicke Nadelbaum an die Decke seines gelben Verschlags – weiterwachsen ausgeschlossen. Dennoch erzählt die riesige Vorgartentanne, die auch im Sommer etwas von einem Weihnachtsbaum hat, mehr vom letzen Winter denn vom morgigen. Auch das Karussell steht alleine da.

Viel Melancholie hat sich in Hanzlovás Serie „Hier“ eingeschlichen. „Hier“ wirkt wie ein Blick nach hinten, wie die Erinnerung an einen Ort, ein Leben, an Bewegung. „Hier“ ist Zeuge eines Stillstandes und sieht dabei mehr nach Gestern aus, als nach Bestandsaufnahme eines Ortes so wie er ist im Hier und Jetzt. Die Fotografien porträtieren ein Außen, das ist sicher. Doch wirkt es, als erzählten sie nebenher noch eine zweite Geschichte. Erzählten von einem Blick nach innen, einem Resümee. Als seien sie mehr Inventur à l’intérieur als in der faktischen Wirklichkeit.

„Nach Beendigung der Serie wollte ich eigentlich gehen, meine Koffer packen und fertig sein mit dem Ruhrgebiet“, sagt Hanzlová im Gespräch, „jetzt bin ich immer noch hier.“ Sie wirkt dabei weder traurig noch enttäuscht, eher überrascht.


KONSTANZE SEIFERT.

Jitka Hanzlová – Hier. Kicken Berlin. 1. Mai bis 5 Juni

www.kicken-gallery.com



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen