Juni 28, 2010

ZWISCHENTÖNE

Wir haben keine Angst? Weil wir unfähig sind zum Engagement.

Eine Replik.

Jüngst war es also wieder so weit. Wieder wurde der Versuch unternommen, für das Verhalten – eher sollte man wohl sagen: für das sich Enthalten – der Generation heute junger Erwachsener ein Erklärungsmuster zu finden, sie mithilfe der Beschreibung irgendwie griffig zu bekommen. Und wieder war die Analyse in ihrem Grundtenor düster gestimmt, wieder war der Artikel mehr von Verzweiflung, denn von Hoffnung getragen.

In der Zeit-Ausgabe 24/2010 wagt sich die junge Autorin Nina Pauer an eine Inspektion unser beider Generation. Sie kommt zu folgendem Ergebnis: Wir – und das sind die die kurz vor / knapp über 30 Jährigen – seien immun geworden gegenüber den von den Medien mit Regelmäßigkeit lancierten Katastrophenmeldungen. Die Warnung vor üblen Zeiten und vor der Apokalypse versetze uns nicht mehr in existenzielle Angstzustände, sondern pralle vielmehr regelrecht an uns ab – weil ernstlich passiert sei ja noch nie etwas, stellt Pauer fest. Gegenüber unseren Vorgängergenerationen hätten wir den Vorteil, im festen und verlässlichen Rahmen von Sicherheit, Frieden und Wohlstand aufgewachsen zu sein, daher unsere Abgeklärtheit. „Die Taliban sind immer anderswo“, will heißen: Die Katastrophe geht uns am Arsch vorbei, weil treffen tut es eh immer nur die anderen. Jedoch bedeute unsere Unbeeindrucktheit, gemessen an der medialen Aufregung, nicht, dass wir tatsächlich angstfrei seien. Lediglich habe sich unsere Angst ein neues Terrain gesucht. Im Individuum nämlich habe sie sich eingenistet und plage dieses seitdem mit Zweifeln, die vorwiegend es selbst und damit seinen Platz sowie sein Gelingen in der Welt beträfen.

Trifft diese Analyse zu? Natürlich trifft sie zu. Wir Jutebeutelträger, vermeintliches Aushängeschild unserer Generation, studiert und intelligent und dabei doch so lazy in unseren engen Hosen, und schlaksig, ohne Haltung, das T-Shirt weiß, maximal hellblau, uns bringt, solange wir uns an unsere Club-Mate klammern können, nichts aus der Fassung. Solange die Brille groß genug und der Apple frei von Kratzern, ist unsere Welt in Ordnung. — Und in unseren Händen soll einmal das Geschick der Gesellschaft liegen? Verantwortung sollen wir übernehmen für größeres, denn den i-phone Vertrag? Wir sollen irgendwann erwachsen werden, unsere Taten irgendwann zählen?

Diesen glatten Vertretern dieser glatten Generation, denen ist alles egal und ihr Horizont hört auf hinterm Facebookprofil – könnte man von uns denken, wenn man uns so entspannt im Café sitzen sieht und einen unbeteiligten, äußeren Blick auf uns wirft. Also sind wir immun? Ja das sind wir. Doch aus anderen, denn den von Pauer angeführten Gründen.

Man denkt zu kurz, vermutet man die Ursache unserer Unempfindlichkeit gegenüber der Katastrophe in einer schlichten medialen Überreizung. So verlagert man Fehler, Schuld und Verantwortung in die Medien, berührt dabei aber die eigentliche Wurzel des Problems nicht. Sondern, im Gegenteil, immunisiert man nur den noch mehr, dessen Manko bereits seine Immunität ist. Der Grund für die Unempfindlichkeit des jungen Erwachsenen muss zu allererst in diesem selbst gesucht werden, man findet ihn nur mittelbar in der Welt. Auch Pauers territoriales Argument greift nicht weit genug: Immun sind wir nicht, weil Afghanistan so weit weg ist und weil Tsunamis immer nur den anderen passieren. Derart geografisch zu argumentieren legt den Schluss nahe, dass wir einzig eines externen Faktors benötigten, dass die Bombe quasi einfach nur im Nachbargarten hochgehen müsste, damit unsere Geisteshaltung sowie unser Weltbezug eine grundlegende Änderung erfahren würden. Spitz formuliert: Nur dem am eigenen Leib erfahrenen Terror obläge es, unseren Dornröschenschlaf zu unterbrechen und uns in wache, verantwortungsbewusste, emotional offene und weitsichtige Individuen zu verwandeln. – Doch brauchen wir so gar nicht erst zu argumentieren, das mündet nur in Sackgassen.

Betroffenheit, Angst und Unruhe als Reaktion auf mediale Berichterstattung sind nicht als temporäre und damit als eines tatsächlichen Auslösers benötigende Gemütsregungen zu klassifizieren. Vielmehr geht es darum, anhand eines Beispiels in unserem Verhalten eine spezifische Geisteshaltung auszumachen, in unseren Reaktionen – wohl eher in unserer Starre – etwas Grundlegendes, unser Leben und Erleben Auszeichnendes zu erkennen. Nicht ist also gemeint, unsere Generation täte besser daran vorm Fernseher zu zittern oder zu Panikkäufen sich hinreißen zu lassen. Gemeint ist vielmehr die Frage, wie wir generell mit Nachrichten, das ist mit Geschehnissen in unserer Um- und Außenwelt umgehen und uns ihnen gegenüber positionieren. – Im Begriff Positionierung liegt auch schon der Punkt:

Um Angst zu empfinden, um ein Gefühl von Ge- und Betroffenheit, von Verunsicherung in sich zu vernehmen, kurz: Um eben nicht immun zu sein gegenüber der Welt, muss man, vor allem anderen, innerlich einen Schritt auf ebendiese Welt zugegangen sein. Innerlich muss man schon Stellung bezogen, muss man sich gegenüber der Welt geöffnet, ihr ausgeliefert haben, damit diese es vermag, in uns eine Art von Reaktion, von Emotion überhaupt aufkeimen zu lassen. Denn Offenheit und damit das Reagieren auf Welt basiert auf einer Entscheidung, einem innerlichen Ruck. Und zwar in genau der gleichen Weise, wie auch Immunität, Ignoranz und Distanziertheit auf einer Entscheidung beruhen.

Es ist ebenso hart wie banal; es ist ebenso wenig eine Überraschung, wie es eine Neuigkeit ist: Ob Du dich von der Welt angehen lässt, oder ob Du ihr gegenüber immun bist, Du, Lieber Jutebeutelträger, Lieber Boston Consulting Trainee, Lieber Politikstudent, Lieber Wirtschaftsinformatiker, Lieber dm-Mitarbeiter, Du entscheidest selbst. Immunität ist nichts, was Dir einfach so passiert. Es sind nicht die Tatsachen und Gegebenheiten der Welt, die uns immun gegenüber dieser machen. Wir sind es selbst. Weil wir uns abschotten vor der Welt. Weil wir sie lieber an uns abprallen lassen, als in ihr Stellung zu beziehen. Immun gegenüber der Katastrophe sind wir, weil wir uns vor ihr verstecken. Immunität ist nichts anderes denn unsere Ausrede für unsere Unfähigkeit zum Engagement.

Die Primärerfahrung der Sicherheit hat mit unserer Geisteshaltung, dieser Kultur des Wegsehens, nicht das Geringste zu tun. Ganz im Gegenteil. Soviel Zeit, soviel Gelegenheit, soviel Raum hätten wir, tatsächlich hinzusehen, uns unter die Welt zu mischen, zu engagieren. Wir Jutebeutelträger, wir ein bisschen Kreativen, wir Studierten, Prachtexemplare unserer Generation, wir leben im undenkbar großen Luxus, den Raum, die Zeit sowie die Freiheit für Gedanken, für die Teilhabe an Dingen, für Fantasie, Neugierde und konträre Lebensentwürfe zu besitzen – aber wir nutzen unsere Möglichkeiten zur Gestaltung nicht.

Stattdessen kreisen wir blind um uns selbst. Stattdessen verlieren wir uns in einer ziellosen Fragerei, in einem unkonzentrierten und damit wenig produktiven Zweifel. Unsere Fragen werden solange die falschen sein und ihrer Antwort harren, bis wir es wagen werden, sie mit Engagement, mit mehr Haltung und Entschlossenheit zu stellen. Ohne dies können wir gar nicht anders, als am eigentlichen Kern unseres Problems – das ist die Frage: Welches Leben soll ich wählen? – immerzu vorbeizurasseln. Ohne dies können wir nicht umhin, weiterhin unlustig in unserer lauwarmen Suppe aus Zweifel und Verunsicherung herumzustochern und dabei so gar keinen Appetit aufs Leben zu haben. Ohne Engagement bleiben wir immun nicht nur gegenüber der Welt, sondern auch gegenüber uns selbst. Was soll dieses Engagement sein?

Es muss kein politischer Aktivismus sein, muss nicht in Großdemonstration und Unterschriftensammlung münden, muss nicht mit dem Verfassen eines Manifests oder dem Aufruf zum Boykott, gar zur Revolution enden. Mit Engagement ist etwas so leises und unscheinbares wie mehr Sensibilität und Offenheit gegenüber der Welt bezeichnet. —

Sensibilität und Offenheit, Wachsamkeit und Breitschaft, kurzum: Interesse. – Banaleres, Unoriginelleres kann man wohl kaum einfordern. Fast schon peinlich, irgendwie unangenehm und kitschig mutet es an, solches in dieser Zeitung lesen zu müssen. Jedoch! In einer Welt, in der der moralisch-ethische Diskurs mehr und mehr auf dem Rückzug sich befindet, weil er vom kapitalistisch-wirtschaftlichem Diskurs an die Wand geredet wird; in einer Welt, in der Verantwortung sowie Interesse an anderem, denn sich selbst selten nur zu finden sind; in einer Welt, in der wir einander vorwiegend im kategorialen Rahmen von Effizient, Erfolg, Leistung und Performanz bewerten – in einer solchen Welt ist dieses Wenige, sind Sensibilität und Offenheit gegenüber sich selbst und anderem unendlich viel. Geht es doch darum, einen Ausweg zu finden, darum, den Mut zu sammeln unseren Schutzmantel der Immunität im Angesicht der Katastrophe abzulegen.

Aber naja. Stattdessen belächeln wir all das lieber. Stattdessen lassen wir Jutebeutelträger und Grafikdesigner, wir Eventmanager die Dinge lieber weiterhin an und vorbeiziehen. Und bleiben immun, weil wir zu schwach sind, es nicht zu sein.

KONSTANZE SEIFERT.

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