Als der Gedanke noch nicht zersplittert ward —
Marianne Breslauer in der Berlinischen Galerie.
Nur sie, und die Kamera. Das Gesicht vom Haar verdeckt, gilt ihr Blick allein dem Sucher. Lang und filigran der Hals, behutsam, nahezu verliebt hält die rechte Hand den Auslöser. Im Schwarz, unterm Morgenmantel verschwindet die linke Hand, öffnet ihn – gibt dabei den Blick auf den nackten Frauenkörper frei – und legt sich, als gälte es sie zu beschützen, sanft um die Kamera. Solch, feine Haltung, wie sie Mariane Breslauer in diesem Selbstporträt zum Ausdruck bringt, macht sich in all ihren Fotografien breit. So, als legte sich, einem transparenten Schleier gleich, ein Sensibles über all ihre Motive und wisse dabei, jeder noch so kleinen, unbedeutenden Szenerie ihr Magisches abzugewinnen, es hervorzukehren. Seien es die Clochards an der Seine, die Marianne Breslauer 1929, gleich nach ihrer Ausbildung am Berliner Lette Verein, in Paris fotografierte; oder die Alte, die mit Baguette und Vin rouge allein sich ihr Picknick abhält; oder die neugierigen Männerrücken, die sich über die Brüstung recken und nach einem für den Betrachter verborgen Bleibendem Ausschau halten: Breslauers Fotografien sind durchdrungen von einer leisen, glanzvollen Ästhetik. Sie eint die Liebe, Hingabe und auch die Neugierde für das Unbeachtete, Übersehene, für das, wo der alltägliche Blick „einfach drüber hinweg schaut“. Durch ungewöhnliche, oftmals schräg und überraschend wirkende Kameraperspektiven bringen Breslauers Aufnahmen solche Randerlebnisse zum Vorschein – und adeln sie.
Wie etwa das vor dem Schaufenster kniende und ganz in die Herrlichkeit der Auslage vertiefte Mädchen (Weihnachten, 1930), welches Breslauer nicht, wie komfortabler, aus dem Stand heraus ablichtet, sondern auf dessen Augenhöhe sie sich begibt und dessen Rückenansicht sie nur zeigt. Diese Perspektive bewirkt, dass sich die Intensität des verlangenden Schaufenster-Blicks (den der Betrachter ja nicht sehnen, einzig nur vermuten kann) auf die gesamte Aufnahme überträgt, sie ausfüllt und schließlich auf den Betrachter übergeht. Denn etwas in diesen Bildern springt auf den Betrachter über. Eine Stimmung, vielleicht auch ein Sinn für Würde und Ästhetik des einfachen, leisen Daseinsmoments. Allein, dieses besondere Gespür Breslauers beschränkt sich nicht nur auf die von ihr festgehaltenen heimlichen Augenblicke, sprich aufs Motiv. Nicht minder faszinierend ist, von welchem Sinn für die einer Situation innewohnenden Rhythmik und Dynamik ihre Kompositionen zeugen. So verwandelt sich eine durch und durch gängige, banale ägyptische Hafenszene (Alexandria, 1931) unter ihrem von oben, schräg in Richtung links unten fotografierendem Blick in einen regelrechten Tanz oder gar in eine Sinfonie. Breslauer vermag es, die Qualität hektischen Straßengewühls derart zu verändern, dass von ihm plötzlich etwas Musisches ausgeht; dass geschäftiges, disparates Treiben auf einmal harmonisch klingt und wirkt, als läge Leichtmut, Freude, Frohsinn in der Luft. Und der Betrachter, er kann staunend nur immer feststellen, „Das Leben, es sieht irgendwie so schön aus auf diesen Bildern.“ Aus ihnen quillt Lebensfreude. In ihnen steckt Humor und Witz.
Trotzdem verlieren Breslauers Fotografien in jenem Überschwang, der manch von ihnen trägt, nie ihre Haltung, nie ihr zentrierendes Gleichgewicht. Sondern sind immer bedacht auf die vom Einzelmoment ausgehende Ästhetik, Geometrie, Harmonie. Streng sind die Aufnahmen durchkomponiert. Proportionen, Rhythmik, Richtung und Dynamik sind austariert bis ins kleinste Detail. In Défense d’Afficher, ( 1937) manifestiert sich Breslauers Gespür für Wirkung und Zusammenspiel dieser Bildkomponenten aufs Schönste: Da ist der Schatten der Straßenlaterne, der vom linken Bildrand daherkommt und warnend – so als verkörpere er das in Lettern an der Mauer stehende Plakatierungsverbot – auf die elegante Dame in Hut und Kostüm blickt, die wiederum, mit sich selbst beschäftigt und unbeeindruckt ob der Präsenz des Schattens, sich légère une cigarette anzündet. Und als sei es des Humors nicht schon genug, tut sich zwischen Straßenlaternenschatten und Madame noch jenes krakelig an die Wand gezeichnete Gesicht auf, welches lachend, staunend oder vielleicht auch nur empört die Situation kommentiert.
Ist solch ästhetische Harmonie, solcher Sinn für Komposition und
Stil allein Breslauers Fähigkeiten und obendrein dem Zufall geschuldet? Oder tut auch unterstützend die Zeit, tun die an Kulturellem so reichen Jahre der Weimarer Republik, die Jahre des Bauhaus und Jazz, die Jahre, in denen Printmedien und Kino zu Massenmedien sich entwickelten und die auch die Jahre von Brecht, Hesse, Mann und den vielen anderen waren, tun diese unterstützend ihr Übriges hinzu? Füllen Energie und Schaffensdrang, die jene Nachkriegsjahre auszeichneten, auch Breslauers Bilder an mit, mit diesem „gewissen Etwas“? Denn wo sonst kommt der Schneid, mehr noch die Lust an Veränderung und Spiel her, die den von Breslauer Porträtierten allen ins Gesicht geschrieben steht? Nirgends denn im geschlechtsspezifischen Rollenverhalten, welches Breslauers Fotografien so gekonnt einzufangen wissen, kommen Haltung und Esprit der späten Zwanziger/frühen Dreißiger deutlicher zum Ausdruck: Wiederholt tritt ihr Jugendfreund Walter Menzel in der Pose des Dandys vor die Kamera. Die Haare gewellt, voll die Lippen, tief, lüstern, vielversprechend der Blick, untermalt, das alles, von vollendeter Lässigkeit. Natürlich auch Paul Citroën, der spielerisch, wie eine Diva verführerisch, sich mystisch gebend und in Schatten hüllend mit Augenaufschlag in die Kamera blickt. — Der Mann testet die Grenzen der Männlichkeit, die Frau spielt mit den vermeintlichen Barrieren ihrer angestammten Rolle, beide treffen sie sich irgendwo im Androgynen, im sonderbar faszinierenden Bereich des sexuell Uneindeutigen. Die Schriftstellering Annemarie Schwarzenbach ist diesen Weg an die Grenze ihrer Rolle und über diese hinaus wohl mit am konsequentestengegangen. Mehrmals lässt sie sich Anfang der 30er Jahre von Breslauer ablichten, und zwar in Anzug und Krawatte, streng der Seitenscheitel, ernst und entspannt die Gesichtszüge – und der Betrachter jener Aufnahmen wird sich erst mit der Information ihres Namens gewahr, „Was?, eine Frau?“ Richtig. Eine der neuen Sorte. Eine, die als Schriftstellerin die neuen emanzipatorischen Ansprüche der Frau vorantrieb und verwirklichte. Erstaunlich an Breslauers Frauenporträts ist, dass sie das Leichtfüßige, Neugierige, nahezu Spielerische, von denen diese Umbruchszeiten getragen waren, in sich aufgespeichert halten und als Stimmung transportieren.
Ihre Porträts sind von diesem besonderen Geist untermalt und man spürt und erkennt: Das Feld, das begriffliche und theoretische Diskursfeld, welches jede Zeit umgibt, war in diesen Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg in entscheidender Hinsicht noch offen. Es war unbeackert und eben noch nicht durchfurcht von all den Präfixen, von „post-“ und „poly-“, ohne die heut kaum ein Diskurs mehr auszukommen vermag. Man sieht den Bildern an: Der Gedanke, er ward hier noch nicht vom Krieg zersplittert. Breslauers Frauenporträts sind frei vom manchmal aggressiven Unterton, vom Gegen- und Anti-, auf das spätere feministische Bewegungen sich beziehen sollten. Die Gesichter vor ihrer Kamera wirken ruhig, ihrer selbst gewiss. So als sei ihr Element das Positive und eben nicht ein sich Abarbeiten am Feind, an Mann und Gesellschaft. In dieses auf Hoffnung und Zuversicht basierende Positiv sind die Fotografien Breslauers getränkt. Und in diesem entscheidenden Sinne geht von ihnen etwas Unschuldiges aus. Denn sie ahnen noch nicht, was kurze Zeit später nur kommen sollte. Sie wissen noch nichts von dem Schrecken, der allem ein Ende setzen, der alles zum Stillstand bringen, der alles in Schweigen tauchen würde. Vor diesem Hintergrund erscheinen Marianne Breslauers Fotografien, erscheinen die Momente von Energie, Kraft, Courage, Wille und Ziel, die einzufangen sie vermocht hat, umso kostbarer. Und umso erschütternder zugleich.
KONSTANZE SEIFERT.
Marianne Breslauer – Unbeachtete Momente.
Fotografien 1927-36
Berlinische Galerie – 11.06. bis 06.09.2010
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen