August 22, 2010


Bedrohung als latentes Dauergefühl. Welt am Limit. —

Mona Hatoum in der Akademie der Künste.

ERSTENS: Es gibt Situationen, auch Gegebenheiten im Leben, gegen die bin ich absolut, vollkommen und gänzlich machtlos. Zusammenhänge, die mich als Einzelnen überschreiten. Gegen die ich nichts ausrichten kann. Die brutalst auf mich einbrechen. Mir meine Grenzen, Machtlosigkeit, meine Kontingenz vor Augen führen.

ZWEITENS: Alles was ist, könnte anders sein und sich jeden Moment als Anderes denn von mir angenommen entpuppen. Drum ist es mir unmöglich zu vertrauen. Egal wem. Egal worin.

Aus diesem existenzialistischen Tenor nährt sich Mona Hatoums Werk. Aufs Engste ist es mit ihrer Biografie verbunden: Mona Hatoum, palästinensische Künstlerin, in Beirut, dem Libanon, geboren, ging sie 1975 mit Ausbruch des Libanesischen Bürgerkriegs in London ins Exil. Studierte dort freie Kunst und ist heute mit Einzelausstellungen in den wichtigen Orten rund um die Welt vertreten und zudem das, was man eine politische Künstlerin nennt.

Sich in der Rolle des Betrachters mit Hatoums Werk zu konfrontieren, verlangt vor allem, sich auf Emotionen, auf genuin körperliche Reaktionen einzulassen, die diese Arbeiten provozieren und darin ihre Stärke liegt. Man muss sich zum Beispiel dieses Gefühl vorstellen und sich ihm ganz ausliefern, dem Gefühl von absoluter Undurchdringlichkeit. Impenetrable, (2009). Einfach nicht gegen Sie anzukönnen, denn gegen Sie anrennen bedeutete Verletzung, hieße unweigerlich: Schmerz. In jedem Falle nämlich sind Sie mächtiger als Du. Sie, das sind schlanke Stahlstäbe in Stacheldrahtoptik. Stahlstäbe. Überall diese feinen Stäbe. Wie Stacheldraht formen sie ein Dickicht aus Dornen, das Dir die Haut zerreißt sobald Du ihm zu nah kommst oder gar durch es hindurch willst. Angeordnet im Quadrat, hängen die Stäbe von der Decke und bilden einen für Dich absolut uneinnehmbaren, feindlichen Raum. Mächtig erheben sie sich gegen den Betrachter, bäumen sich vor ihm auf und – als ob das der Gewalt noch nicht genug – üben Rache an ihm, indem sie garstigst seine Erwartungen täuschen: Die Stacheldrahtstäbe wirken, ob all ihrer eigentlichen Brutalität, auf den ersten, von weitem auf sie geworfenen Blick fragil, zerbrechlich, als ob man sie schützen müsste. In größtmöglicher Reduziertheit, in ästhetisch klarer Formensprache sind sie schlicht und einfach nur da, im Raum. Dabei berühren sie in ihrer Leichtigkeit und Eleganz nicht einmal den Boden. Sondern schweben. Stelle Dir nun vor, die Stacheldrahtstäbe fielen von der Decke, bohrten sich durch Deinen Fuß und rissen dein Fleisch auf. Nein, man kann diesen Stäben nicht trauen. Sinnbild absoluter und gleichzeitig subtilster Macht sind sie. Von ihnen droht Gefahr, sie sind unheimlich.

Solche von den Dingen ausgehende Bedrohung, die Gefahr, dass sie Dir immer auch eine andere Fratze entgegenhalten könnten – Hatoum spricht in all ihren Arbeiten davon. Immer spielt sie an auf Sein und Schein der Dinge; wie sie vermeintlich sind und als was sie sich im nächsten Moment entpuppen könnten. Radikal destabilisiert Hatoum die Wahrnehmung des Betrachters. Mehr noch das Vertrauen des Betrachters in seine Wahrnehmung. Und diesem ist plötzlich zumute, als bewegte er sich auf heißen Kohlen, als bräche die Sicherheit des Ausstellungsbodens unter ihm hinweg mit einem schepperndem KRACH!

Solches Beharren auf die Notwendigkeit eines allgegenwärtigen Zweifels – denn darauf spielt die Destabilisierung der Betrachterseele an – nimmt bei Hatoum Ausmaße an, die den Nahbereich der Dinge weit übersteigen. Hatoum meint die Welt als solche. Und sie meint den Menschen als solchen. Sie expliziert, wie brisant ihrer beider Miteinander ist; wie es geprägt ist

von Krieg, Zerstörung, Vernichtung, Explosion; wie es, ob nun über kurz oder über lang, auch einfach vorbei sein könnte. Schluss. Aus.

Das zu zeigen, spielen die Elemente Globus, Erdball, Welt- und Landkarte eine eminente Rolle in

Form- und Bildsprache ihrer Arbeiten. Da ist beispielsweise Globe, (2007). Eine aus Weichstahl hergestellte Erdenkugel, die so fertig, die so verdammt am Ende ist, dass sich die Masse der Kontinente bereits in Wohlgefallen aufgelöst hat, dass einzig die Meridiane das Ganze noch zusammen halten – kraftlos. Die Welt ein ausgemergeltes Gerippe. Oder 3D Cities, (2008-10): Drei Stadtpläne – Beirut, Bagdad und Kabul – seziert, zersetzt, durchfurcht von kunstvoll aus dem Papier geschnittenen Vertiefungen, die erst an Scherenschnittmuster erinnern, dann aber, unterm genaueren Blick, zu Kratern von eingeschlagenen detonierten hochgegangenen zerfetzenden Zerstörung bringenden Bomben werden. Oder, wo die Wölbung konvex und nicht konkav, eben zur Explosion der Bombe selbst. Selbst Landkarten sind nicht unschuldig. Nichts ist unschuldig. Mit Sicherheit auch nicht das kleine Perlenband, welches Gläubigen Unterstützung beim Beten ist. Überdimensioniert und anstelle der Perlen hat Hatoum es aus schwarzen Kanonenkugeln nachgebaut – Worry beads, (2009). Schuldig! Die Welt steht unter Strom. Davon spricht Undercurrent (red), (2008). Rot umwickeltes Kabel zu einem quadratischen Teppich verwoben, an dessen Enden jeder einzelne Kabelfaden ausläuft, sich zerfranst und zerfleddert. Diese Ausläufer formen einen riesigen, am Boden liegenden Kreis. In dessen Mitte der Kabelteppich, daraus sich ergebend das Kabelwirrwarr und dessen Außenlinie von Glühbirnen bestritten wird. Die Glühbirnen leuchten, abwechselnd hell, manchmal dunkler. Eine Welt unter Strom, sie ribbelt sich auf, läuft aus dem Ruder und jeden Moment kann’s knallen. Und die Glühbirnen, sie sind wie Warnsignale, bei denen man nicht mit Sicherheit weiß: Kommen sie gerade noch rechtzeitig oder ist es doch schon zu spät? Kurzum, Hatoum sagt: „Du sitzt auf einem Pulverfass. And you better take care.“

Der Ausstellungsbesucher, der sich bei seinem Rundgang dieser Botschaft vor jedem Werk aufs Neue stellen muss, er geht irgendwann gebückten Hauptes, eingeschüchtert und völlig konsterniert davon. Aber muss das sein? Wird die Bedeutungs- und die Inhaltskeule, wenn mit solcher Vehemenz und bei solch hehrem Thema zu viel geschwungen, nicht irgendwann redundant? Löst sie sich dann nicht irgendwann auf im Gerede, in der Wiederholung? Kürzt sie sich dann nicht irgendwann selber zusammen und reduziert sich auf den puren Effekt? Diese Gefahr besteht bei einem Werk, das so eindeutig, klar, überzeugend und unmittelbar zugänglich in seiner Sprache ist, dass der Betrachter mehr oder weniger immerzu direkt über die Form hinweg zur Bedeutung, zum Inhalt des Werkes vorstoßen kann. Straight und ohne Umweg. Denn nichts stellt sich ihm in den Weg, an dem er sich stoßen, durch das er hindurch müsste. Nein, stattdessen erschließt sich ihm das Werk mit einem Schlag. Großartig kann das sein. Oder gefährlich. Ist doch der Betrachter dann geneigt, allzu schnell sich verführen zu lassen und voreilig zu denken: „Aha! Gebetsband! Kanonenkugeln! Religion als Kriegsstifter!“ Und fertig. Weiter geht’s zur nächsten Arbeit: „Aha! Teppich! Darin eine Weltkarte ausgekratzt! Der Mensch verhält sich zur Welt wie ein Trampeltier!“ Und so fort. In der Verknappung, in Hatoums unglaublichem Gespür, komplexeste Zusammenhänge absolut zu verkürzen, liegt gleichermaßen die Gefahr, dass das thematisch Schwerwiegende ihrer Arbeiten sich leerläuft und nicht zum Zuge kommt. Dass die Dringlichkeit der Botschaft beim Betrachter nicht ankommt. Sondern riskiert sich zu verlieren, weil der Adressat sich zu sehr gefällt in der Rolle des gewieften Rätselraters. Jedoch dann überm Raten die Auseinandersetzung mit der Botschaft vergisst:

Gebetsband + Kanonenkugel = ?

Krieg!

Man befindet sich also in einer recht misslichen Lage. Bringt doch das unmittelbare Verständnis des Werkes den Verstand, wo dieser sich als Sieger sieht, so recht eigentlich vom Werk wieder weg. Solches Dilemma ist aber nicht als Schwachpunkt im Werk selbst anzusehen, ganz im Gegenteil. Es zeichnet es regelrecht aus. Die Herausforderung liegt vielmehr beim Kuratorium. Denn vielleicht funktionieren diese Arbeiten nur als Einzelne gut? In der Assemblage schwächen sie sich gegenseitig und rauben sich den Saft, ihr starkes Element.


KONSTANZE SEIFERT.


Mona Hatoum_ Käthe Kollwitz Preis 2010

Akademie der Künste_ 31. Juli bis 5. September

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen