August 30, 2010



»Empfindungsbündel.«

Bruce Nauman im Hamburger Bahnhof.


Du gehst dort jetzt rein.

Du gehst dort jetzt rein.


DU gehst dort JETZT REIN.


Du gehst.

Und der Spalt, der neongrüne Korridor in dem du läufst, wird immer enger. Bis er nur noch so breit ist wie du, an deine Schultern stößt, dich einklemmt und festhält. Aber noch bist du nicht am Ende, musst weitergehen. Die Öffnung dort vorn, links, dein Ziel, steht dir noch bevor. Um weiterzugehen musst du dich drehen. Stehst jetzt mit dem Gesicht zur Wand, direkt zur Wand und es wird dir immer enger. Die Wand direkt vor dir, die Wand direkt hinter dir, kannst nicht einen Schritt mehr vor oder zurück denn du bist – eingesperrt. Du MUSST seitwärts WEITERGEHEN. Ein bisschen, ein Stück noch dann passt du durch die Öffnung und streng dich jetzt an.

Du bist durch. Jetzt, angelangt in diesem Raum, erwartet dich Nichts. Dort ist nichts. Der Raum ist leer. Nur Neon, hellgrünes Neonlicht. Du stehst in einem leeren Raum, einem Würfel, er und du, ganz seit ihr in unangenehmes, schmerzendes, dich würgendes hellgrün getaucht. Wie eben noch die Wände drohten dich zu erdrücken, erdrückt dich jetzt die Leere des Raums, das Grün erdrückt dich jetzt obwohl du Platz hast. Ganz nah liegt es auf dir, beklemmt dich. Und dein Atem wird schneller. Er wird hektisch. Er wird unkontrolliert. Du beginnst dich unwohl zu fühlen weil das Grün ist zu krass. Es hemmt dich, blockiert alles und du kannst nicht mehr klar denken in diesem leeren Raum wo nichts ist. In diesem leeren Raum wo nichts ist. In diesem leeren Raum wo nichts ist. In diesem leeren Raum wo nichts ist kannst du nicht mehr klar denken. Und es wird schlimmer. Das Neongrün wird dir unerträglich. – Es wirkt. – Du zögerst, weißt nicht. Merkst deinen Atem wieder wie er schnell ist. Merkst wie stickig, wie ungeheuer schwer dieser leere Raum ist. Wie er auf dir lastet. Wie das Gewicht seiner Leere dich drückt, dich erdrückt.

Du zögerst.

Du bist dir peinlich.

Du gehst.

Zurück im schmalen Korridor, schiebst dich wieder an den engen Wänden vorbei, die dir viel zu nahe sind, wieder, bis du endlich draußen bist. Bis du endlich wieder draußen bist. Du kannst atmen. Aber es ist nicht vorbei, das Grün, das Leer, das Nichts, der Raum wirkt nach: Du siehst rosa. Du weißt: Eigentlich müssten die Wände jetzt, hier draußen, die Museumswände müssten jetzt weiß sein, sie müssten weiß sein die Wände müssten jetzt weiß sein. Aber du siehst rosa. Deine Wände sind rosa, du bist komplett außer Gefecht.

Dream Passage. Unter diesen Titel stellt der Hamburger Bahnhof seine Bruce Nauman Sammlung. Und es stellt sich die Frage: Ist dieser Titel nicht zu sanft, ist er nicht ein bisschen zu nett gewählt gemessen an dem, was den Besucher erwartet? Zu unschuldig verglichen mit dem, wofür Naumans Kunst steht?

Traumpassagen…

Traum…

Was läge Nauman ferner? Ist er es doch, der über seine Kunst sagt, sie solle den Betrachter so unmittelbar und unverfroren treffen, als versetzte sie ihm einen Schlag ZACK direkt ins Genick. Brutal macht solcher Schlag, macht Naumans Kunst wach und konfrontiert jäh den Getroffenen mit dem, was ist.

Nauman konzipiert Erlebnisräume, die ihre Besucher Schritt für Schritt an die Grenze bringen. Grenze bedeutet zweierlei: Zum einen fordert Nauman die Grenze des Verstandes heraus. Andererseits zielt er auf größtmögliche Zuspitzung, Reizung, Sensibilisierung der sinnlichen Wahrnehmung – kurzum: Reduktion der Ratio bei gleichzeitiger Übersteigerung ins Unerträgliche des Emotionalen, des Sensiblen in uns. Heißt: Nauman spitzt in seinen Erlebnisräumen, Installationen, Videoarbeiten die Empfindungen des Besuchers solange an, bis sie schließlich blank, komplett blank liegen. Bis sie absolut offen und geschärft sind. Bis in der absoluten Übermacht sind. Bis der Mensch vor diesen Arbeiten nur noch Empfindung ist, ein zappelndes Empfindungsbündel ist, weil sein Verstand ins Leere läuft. Leerläuft, weil er nichts mehr hat, das er greifen kann. Spätestens jetzt musst Du gehen. Spätestens dann werden Naumans Arbeiten dem Betrachter so unerträglich, dass ihm nur noch eines bleibt und das ist Flucht. Denn Arbeiten sind das, die so recht eigentlich nicht zu ertragen sind. Arbeiten, die den Besucher, der paralysiert, empört, überfordert, verängstigt, eingeschüchtert, irre wird – ABSCHIESSEN! Weil sie ihn in seinem Innersten packen.

Eingangs geschilderte Arbeit verdeutlicht diesen Prozess: Untitled, 1971 (Helman Gallery Parallelogram). Bereits der Gang durch den immer mehr sich zuspitzenden Korridor macht den Laufenden unruhig, setzt ihn einer totalen Stresssituation aus: „Was, wenn ich nicht durch passe? Die Wände hier werden immer enger, sie können mir weh tun, Schmerz. Wohin führt diese Öffnung?“ – Und die Gedanken beginnen zu rasen, logisches Denken außer Kraft gesetzt – (denn was bitte gibt es in der Situation des extremsten In-die-Enge-getrieben-Seins zu denken, was kunstgescheit zu philosophieren?) Denken kommt später. Schachmattsetzen des Geistes, um durchzudringen zum Empfindungskern des Menschen, zu dieser existenziellen Einsamkeit in uns, Naumans Videoarbeiten exerzieren diesen Ritt in noch extremerer Weise durch: MMMM.

Auf mehreren und versetzt im Raum übereinander gestapelten Bildschirmen sieht man, mal gerade/mal überkopf, Naumans Kopf sich drehen und dabei unablässig nur den einen Laut produzieren. Nur den einen Laut, der es an keiner Stelle schafft, Wort, Aussage, gar sinnvoller Satz zu werden, sondern feststeckt und verharrt in einer Endlosschleife:

…MMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM…

Sinnentleerte Sprache und gänzlich verliert sie ihre bedeutungs- und strukturgebende Funktion. Der Geist ist entmachtet, was bleibt ist Wahnsinn! Irrsinn! Was bleibt ist die Hölle, ist pure Aggression. Bleiben tun Panik, Angst, Verlassensein. Nauman treibt den Besucher an den logischen Nullpunkt. Treibt ihn in die Grenzerfahrung. In die Grenzerfahrung der völligen Sinnlosigkeit. In die Grenzerfahrung der dummen, komplett durchgedrehten, ausgekrankten Wiederholung, die nichts anderes ist, denn:

Grenzerfahrung von Stillstand = Absolute Abwesenheit einer Perspektive von Fortschritt und Entwicklung und Besserung. Stattdessen sagen Naumans Arbeiten: „Der Nullpunkt, an dem Du jetzt bist ihm in die Augen zu schauen; das Chaos die Hölle der Kerker die Sinnlosigkeit in der du hier steckst und zappelst, das ist das Eigentliche. Das ist das Eigentliche. Das ist was bleibt, sobald man Deinem Geist nur sein Futter, seine Ablenkung, seine Strukturen nimmt. Dann bist Du ganz alleine. Dann bist Du reines Empfindungsbündel.“ —

Naumans Arbeiten ist weder Bedauern noch Ernüchterung oder Verbitterung ob dieser Erkenntnis anzumerken. Auch haftet ihnen nicht der leidige Charakter der Predigt, kein moralischer Appell zur Demut – „Sieh an wie klein und nichtig Du bist, und dabei tönst Du immer so rum.“ – klingt in ihnen an. Auch verfallen sie im Angesicht des Festgefahrenseins der menschlichen Kondition nicht in Pessimismus. Diese Kunst ist nicht depressiv. All das ist nicht der Fall. Und es ist, bedenkt man Wucht, Schlagkraft und Botschaft dieser Arbeiten umso unglaublicher, dass all das nicht der Fall, dass an negativer Stimmung im Werk so gar nichts auszumachen ist. Stattdessen geht von ihm, geht von Nauman eine Nüchternheit, eine Demut aus, die fast am Sagenhaften grenzt. Sagenhaft! Brutalität, das von Gewalt durchtränkte, aggressive dieser Arbeiten fußt, man mag es kaum glauben, auf Gelassenheit. Naumans Arbeiten triefen nicht vor pathetischem Terror, sondern sind, hinter all ihrem Geschrei und damit am Fuße ihres Gedankens – still. Sie sind still. Sagen, bei voller Einsicht in die Dinge und ohne sich im Kitsch zu verklären: „Du bist Empfindungsbündel. — Und?“

KONSTANZE SEIFERT.

Bruce Nauman

Dream Passage_ Hamburger Bahnhof

28. Mai bis 10. Oktober 2010

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